Reisebericht Burgund

Der Weg ist das Ziel

Die Entdeckung der Langsamkeit: Mit dem Hausboot unterwegs auf Flüssen und Kanälen im Burgund

Von Alexander Jungkunz

Entschleunigung: Der Begriff macht Karriere in einer zunehmend eiligen Welt. Tempo, Hektik, Stress – schwer, da nicht mitzumachen im Alltag. Doch es gibt ein paar Ansätze, sich dem Diktat der Uhr zu entziehen. Die Slow food-Bewegung etwa, die von Italien aus ihren naturgemäß langsamen Siegeszug begann und aufs gemächliche Zelebrieren regionaler Spezialitäten setzt als Kontrast zum Fast-Food-Einerlei.

Wer im Urlaub „Entschleunigung” will, der ist gut beraten mit einer Fahrt auf einem Hausboot. Frankreich mit seiner Vielzahl an Kanälen und hausboot-geeigneten Flüssen bietet dafür die größte Routen-Auswahl. Wir wählen diesmal die grüne Mitte: Burgund. Ausgangspunkt unserer Tour ist die Kleinstadt Tournus, wegen ihrer romanischen Klosterkirche St. Philibert aus dem elften Jahrhundert ein beliebtes Touristenziel. Und in Tournus hat auch „Pavillon Saône” seinen Sitz, ein kleiner, aber feiner Hausboot-Verleih.

Sechs bestens ausgestattete Stahlrumpf-Boote stehen zur Wahl, vom kleineren bis zum großen, knapp 15 Meter langen Typ „America 50” mit viel Platz für acht Reisende. Los geht's auf der Saône, einem hier schon meist weit über hundert Meter breiten Fluss, auf dem auch Frachtschiffe unterwegs sind oder riesige Hotelschiffe auf dem Weg von Dijon nach Lyon. Dagegen wirkt unser Boot winzig. Nach ein paar Kilometern biegen wir ab in die Seille, einen kleineren, nur für Hausboote nutzbaren Fluss. Wir fahren durch eine reizvolle Landschaft mit Feldern, auf denen die weißen Charolais-Rinder weiden, durch Naturschutzgebiete mit Graureihern und Schwänen: 39 Kilometer und vier selbst zu betreibende Schleusen, also einen guten Hausboot-Tag lang ist die Strecke bis Louhans, einem Städtchen, unter dessen Arkaden montags ein Geflügelmarkt mit den berühmten Hühnern aus der Region Bresse zum Bummel lädt.

Zurück schlängeln wir uns vorbei an noblen Landsitzen und machen Station im „Bücher-Dorf” Cuisery mit einem Dutzend schöner Antiquariate. Beim Anlegen zeigen sich die Tücken eines Flusses für wenig erfahrene Hobby-Kapitäne: Die Strömung hat's in sich – zum Glück lotst uns der nette Wirt des benachbarten Campingplatzes ein. Dabei ist das Fahren an sich leicht; einen Führerschein braucht man nicht. Beim Start gibt es einen Crashkurs in Sachen Lenkung. Dennoch ist Vorsicht angebracht: Ein 20 Tonnen schweres Boot lässt sich nun mal nicht bremsen wie ein Auto – je langsamer, desto besser und vor allem sicherer klappen die Manöver. Das Einfahren in eine Schleuse zum Beispiel geht dann recht gut, wenn man „doucement” – also langsam – hineinsteuert. Und es gibt jede Menge Schleusen auf dem Canal du Centre, den wir anpeilen, als uns die Schiffs-„Autobahn” Saône zu breit und auch zu windig wird und wir deshalb bei Chalon-sur-Saône einbiegen in den Kanal.

Nun geht es in die Weinberge des Burgund – ganz gemächlich: Für die 17 Kilometer bis zum Provinzstädtchen Chagny braucht man beim Boots-Wandern einen knappen Tag. Denn zwölf Schleusen bringen uns 52 Höhenmeter nach oben, und jeder Schleusengang, bei dem eine zupackende Mannschaft gefragt ist, dauert rund eine Viertelstunde. Wer da auf dem Treidelpfad neben dem Kanal das Boot begleitet, der hat es selbst als Spaziergänger sehr bald überholt. Diese Entdeckung der Langsamkeit hat viele Reize: die Fahrt durch Hügel, Wälder und Felder fernab von überfüllten Touristen-Attraktionen, die auf dem Boot schnell nicht mehr interessieren. Oder die freie Wahl der Halte- und Übernachtungs-Stationen: Wir machen fest, wo es uns gefällt. Vor der Brücke im Weindörfchen Remigny zum Beispiel, wo uns einer der vielen Winzer fruchtigen Chardonnay zum Abendessen an Deck verkauft. Der Weg ist das Ziel: Der Spruch passt zu einer Hausboot-Fahrt. Langsam Dahintuckern durch grüne Landschaften. Schauen – und dabei fast schon automatisch entspannen.

Nach der Boots-Abgabe durchfahren wir im Auto dann unsere Etappen einer ganzen Woche in einer guten Stunde: Das Alltags-Tempo hat uns wieder. Bis zur nächsten Hausboot-Tour.